Mesenchymale Stammzellen: die „anderen" Knochenmark-Stammzellen

Mesenchymale Stammzellen (MSZ) können verschiedene Zellarten des Stütz- und Bindegewebes (auch Skelettgewebe genannt), wie Knorpel, Knochen und Fett, herstellen. Wissenschaftler untersuchen wie MSZ eingesetzt werden könnten, um Knochen- und Knorpelkrankheiten wirksam zu behandeln. Einige MSZ Forschungsgruppen erkunden auch Therapien für andere Krankheiten, die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Anwendungen sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht oder etabliert.

Mesenchymale Stammzellen (MSZ) sind multipotente Stammzellen, die im Knochenmark vorkommen und wichtig für Aufbau und Reparatur von Skelettgeweben wie Knorpel, Knochen und im Knochenmark enthaltenem Fett sind. Sie sind nicht zu verwechseln mit hämatopoetischen (Blut-)Stammzellen, die ebenfalls im Knochenmark vorhanden sind und unser Blut bilden.

MSZ machen nur einen sehr geringen Anteil aller Zellen im Knochenmark aus, doch die Forscher konnten MSZ isolieren, sodass diese Zellen untersucht werden können.

Neuere Studien legen nahe, dass MSZ wichtig für die Entstehung eines Nischenmilieus (einem „Zuhause“) für Blutstammzellen im Knochenmark sind.

MSZ-Therapien werden entwickelt, um bei der Reparatur von Knochen und Knorpeln, z. B. aufgrund von Verletzungen am Meniskus im Knie oder lange fortdauernden Schäden, die zu Arthrose führen, zu helfen.

In Studien werden auch Berichte weiter untersucht, denen zufolge MSZ bei der Bildung neuer Blutgefäße in geschädigtem Gewebe helfen. Dies könnte bedeutende Auswirkungen auf die Behandlung von Gewebeschäden aufgrund von Herzinfarkten und anderen Erkrankungen haben.

Die Wissenschaftler untersuchen derzeit außerdem die Fähigkeit der MSZ, Entzündungen zu lindern, das Fortschreiten von Autoimmunerkrankungen zu bremsen und eine Transplantatabstoßung zu vermeiden.

Stammzellforschung ist komplex, detailliert, langsam und schwierig. Teilweise widersprüchliche Ergebnisse aus der frühen (und auch der heutigen) MSZ-Forschung erinnern daran, dass die Stammzellforschung Zeit braucht, um erfolgreich zu sein.

Es gibt noch sehr viele Unklarheiten darüber, wie MSZ erfolgreich in geschädigtes Gewebe im Körper eingebracht werden können.

Häufig gehen allerdings transplantierte MSZ schnell wieder aus dem Körper verloren, was ihre Möglichkeiten für einen Einsatz als Therapie begrenzt. Die Forscher arbeiten an Wegen, wie MSZ im Körper gehalten und angeregt werden können, neuen Knorpel oder Knochen zu bilden.

Human mesenchymal stem cells

Mesenchymale Stammzellen (MSZ) sind ein Beispiel für Gewebe- oder „erwachsene" (adulte) Stammzellen. Sie sind „multipotent", d.h. sie können zwar mehr als eine Art von spezialisierten Zellen, aber nicht alle verschiedenen Zellen des Körpers produzieren. MSZ entwickeln sich zu den verschiedenen spezialisierten Zellen des Stütz- und Bindegewebes. Während dieses Vorgangs können sie zu verschieden Zellen differenzieren, das heißt sich spezialisieren, beispielsweise Knorpelzellen (Chondrozyten), Knochenzellen (Osteoblasten) und Fettzellen (Adipozyten). Diese spezialisierten Zellen haben jeweils ihre eigenen charakteristischen Formen, Strukturen und Funktionen und gehören zu einem bestimmten Gewebe.

Frühere Forschungsergebnisse deuteten darauf hin, dass MSZ auch in andere spezialisierte Arten von Zellen differenzieren können, die nicht dem Skelettgewebe angehören, wie Nervenzellen, Herzzellen, Leberzellen und Endothelzellen, die Blutgefäße auskleiden. Diese Ergebnisse konnten allerdings in späteren Studien nicht bestätigt werden. In einigen Fällen scheint es, dass die MSZ mit bestehenden spezialisierten Zellen verschmolzen, was zu falschen Schlussfolgerungen über die Differenzierungsfähigkeit der Zellen führte. In anderen Fällen wurden die Ergebnisse künstlich von Chemikalien beeinflusst, die für das Wachstum von MSZ im Labor verwendet wurden.

 

Differenzierungspotential von Mesenchymalen Stammzellen
Differenzierungspotential von mesenchymalen Stammzellen: MSZ können Fett-, Knorpel- und Knochenzellen bilden. Es wurde noch nicht endgültig nachgewiesen, ob sie auch andere Körperzellen bilden können.Körperzellen bilden können.

 

MSZ wurden ursprünglich im Knochenmark entdeckt. Auch eine Vielzahl von anderen Geweben soll MSZ beinhalten, beispielsweise Nabelschnurblut, Fettgewebe und Muskeln. Es wurde jedoch noch nicht endgültig geklärt, ob Zellen aus diesen Geweben wirklich mit mesenchymalen Stammzellen des Knochenmarks übereinstimmen oder ihnen zumindest ähnlich sind.

Das Knochenmark enthält viele verschiedene Zelltypen. Unter ihnen sind Blutstammzellen (auch hämatopoetische Stammzellen genannt) und eine Vielzahl verschiedener Arten von Zellen, die zu der sogenannten Gruppe „mesenchymaler“ Zellen gehören. Nur etwa 0,001-0,01% der Zellen im Knochenmark gehören zur Gruppe de mesenchymalen Stammzellen.

Es ist relativ einfach ein Gemisch aus verschiedenen mesenchymalen Zelltypen aus adultem Knochenmark zu Forschungszwecken zu gewinnen. Aber die Isolierung des kleinen Anteils von mesenchymalen Stammzellen ist komplizierter. Einige der Zellen in der Mischung können beispielsweise in der Lage sein, Knochen oder Fettgewebe zu bilden, besitzen aber nicht alle Eigenschaften von mesenchymalen Stammzellen. Die Herausforderung besteht darin, die Zellen zu identifizieren, die sowohl sich selbst erneuern können (d.h. eine Kopie von sich selbst herstellen) als auch die Fähigkeit besitzen, in Knochen-, Knorpel- und Fettgewebe zu differenzieren.

In dieser Richtung wurden bereits wichtige Fortschritte erzielt. Werden Forschungsergebnisse sonst eher von anderen Organismen auf den Menschen übertragen, wurden diese wichtigen Ergebnisse interessanterweise direkt durch Studien an menschlichen Zellen ermöglicht. Ihre Erkenntnisse wurden wiederum in ähnlichen Studien an Mauszellen bestätigt. In beiden Organismen wurden Stammzellen im Knochenmark gefunden, die nicht zur Gruppe der hämatopoetischen Stammzellen zählen, sondern als „skelettale“ Stammzellen identifiziert wurden. Diese Zellen werden zwar auch mesenchymale Stammzellen genannt. Die Bezeichnung „skelettale Stammzelle“ scheint jedoch besser geeignet um diesen Zelltyp zu beschreiben, da die Stammzellen in der Tat in alle drei Gewebe differenzieren können, die das Skelett bilden: Knochen, Knorpel und Fettgewebe, welches die Knochenmarkhöhlen ausfüllt. Eine weitere erstaunliche Entdeckung legt nahe, dass die skelettalen Stammzellen eine Art „Zuhause“, auch Nische genannt, für Blutstammzellen bilden. Beide Stammzellarten würden somit in engem Kontakt im Umfeld der Blutgefäße des Knochenmarks existieren.

Derzeit gibt es noch keine zugelassenen Behandlungen mit MSZ. Allerdings werden momentan mehrere Möglichkeiten für ihre Verwendung in der Klinik erforscht.

Knochen-und Knorpelreparatur

Die Fähigkeit von MSZ in Knochenzellen (Osteoblasten) zu differenzieren, hat zu ihrer Verwendung in ersten klinischen Studien geführt, die die Sicherheit von potentiellen Methoden zur Knochenreparatur untersuchen. Diese Studien forschen nach möglichen Behandlungen für lokalisierte Skelettdefekte (Schäden an einem bestimmten Ort im Knochen).

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf der Behandlung von Knorpeldefekten mittels MSZ. Knorpel bedeckt die Enden von Knochen und ermöglicht das schmerzfreie Bewegen der Gelenke. Er kann durch eine plötzliche Verletzung, wie einen Sturz, oder über einen längeren Zeitraum durch eine chronische Gelenkerkrankung (z.B. Osteoarthritis), beschädigt werden. Knorpel kann sich nach einer Beschädigung nicht selbst reparieren. Die beste Behandlung für schwere Knorpelschäden ist zurzeit eine Operation, um das beschädigte Gelenk durch ein künstliches zu ersetzen. Da MSZ zu Knorpelzellen (Chondrozyten) differenzieren können, hoffen die Wissenschaftler durch das Injizieren von MSZ die Reparatur und den Erhalt der Gelenkknorpel im Patienten zu ermöglichen. Forscher untersuchen auch die Möglichkeit, dass von transplantierten MSZ freigesetzte Stoffe die patienteneigenen Zellen zur Reparatur des Schadens anregen.

Viele Hürden bleiben bevor diese Art der Behandlung Wirklichkeit werden kann. Ein Problem der MSZ-Transplantation besteht darin, dass die meisten von ihnen schnell aus dem Körper entfernt werden. Neue Techniken für die Transplantation der Zellen, wie die Entwicklung dreidimensionaler Strukturen oder Gerüste, sollen helfen die Bedingungen in dem Teil des Körpers, in dem die Zellen benötigt werden, zu imitieren. Diese Gerüste halten die Zellen und sollen ihnen dabei helfen in den gewünschten Zelltyp zu differenzieren.

Reparatur von Herz und Blutgefäßen
Einige Studien an Mäusen legen nahe, dass MSZ die Bildung von neuen Blutgefäßen in einem Prozess namens Gefäßneubildung  fördern können. MSZ differenzieren nicht selbst zu neuen Blutgefäßzellen, sondern unterstützen die Gefäßneubildung vielmehr. Zum Beispiel können sie Proteine freisetzen, die das Wachstum von anderen Zellen stimulieren: den sogenannten endothelialen Vorläuferzellen, die Blutgefäße auskleiden. Weiterhin könnten sie existente endotheliale Zellen zur Bildung neuer Blutgefäße anregen. Durch Studien an Tieren, hoffen Forscher diese Hypothesen testen zu können, um herauszufinden, ob MSZ zur Reparatur von Schäden an Blutgefäßen im Zusammenhang mit Herzinfarkten oder Krankheiten wie kritischen Durchblutungsstörungen dienen könnten. Eine Reihe von klinischen Studien mit MSZ in Patienten sind derzeit im Gange, aber es ist noch nicht abzusehen, ob diese Behandlungen erfolgreich sein werden.

Entzündliche und Autoimmunerkrankungen

Es wurde mehrmals die Vermutung aufgestellt, dass MSZ vom Immunsystem unerkannt bleiben und daher von einem Patienten zum anderen transplantiert werden können, ohne dass die Gefahr der Abstoßung durch den Körper besteht. Diese Ergebnisse konnten jedoch nicht durch weitere Studien bestätigt werden. MSZ werden wie jeder andere fremde Zelltyp vom Immunsystem abgestoßen. Weiterhin wurde vorgeschlagen, dass MSZ die Vermehrung von Immunzellen im Körper verlangsamen könnten, um somit Entzündungsreaktionen zu verringern, wie sie bei Transplantatabstoßungen oder Autoimmunerkrankungen auftreten. Auch dies konnte jedoch noch nicht bewiesen werden und es sind wesentlich mehr Studien und wissenschaftliche Beweise erforderlich, um festzustellen, ob  MSZ für diese Art von Behandlung verwendet werden könnten.

Die Forschung an Therapien mit MSZ steckt noch in den Kinderschuhen. Wesentlich mehr Studien sind erforderlich, bevor Therapien dieser Art routinemäßig in der Behandlung von Patienten eingesetzt werden können. Potentielle Therapien könnten MSZ sowohl dazu einsetzen verschiedene Zelltypen des Skelettgewebes herzustellen als auch die Fähigkeiten der Stammzellen zur Beeinflussung von Blut- und Gefäßzellen nutzen. Offene Fragen verbleiben unter anderem darüber wie MSZ sich nach einer Transplantation im Patienten verhalten würden und wie dieses Verhalten kontrolliert werden könnte und wie sie an die richtige Stelle im Patienten transplantiert werden können, um dort effektiv ihre Funktion zu erfüllen.

Durch das Studium, wie mesenchymale Stammzellen innerhalb des Körpers funktionieren und mit anderen Körperzellen und untereinander interagieren, hoffen Forscher, sichere und effektive neue Behandlungen für die Zukunft entwickeln zu können.

Dieses Datenblatt wurde von Clara Sanz Nogués und Mikey Creane erstellt und wurde von Paolo Bianco geprüft.

Übersetzung ins Deutsche von Claas Baustian, Jolanda Muenzel und Sabine Gogolok.

Titelbild: Menschliche MSCs von Marc Healy, NUI Galway. Diagramm und Fotos menschlicher MSCs von Clara Sanz, NUI Galway. Bilder der gefärbten nicht-differenzierten und differenzierten MSCs entnommen aus: „Mesenchymal stem cells: Clinical applications and biological characterization“, Int J Biochem Cell Biol (2004) 36 (4): 568-584 mit Erlaubnis der Autoren und Elsevier.