Rückenmarksverletzungen: Wie könnten Stammzellen helfen?

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Das Rückenmark überträgt Informationen zwischen Gehirn und dem übrigen Körper. Verletzungen des Rückenmarks, wovon in Europa zurzeit etwa 333.000 Menschen betroffen sind, können Lähmungen verursachen, für die es momentan keine wirksame Behandlung gibt. Könnten Stammzellen helfen? Das Rückenmark überträgt Informationen zwischen Gehirn und dem übrigen Körper. Verletzungen des Rückenmarks, wovon in Europa zurzeit etwa 333.000 Menschen betroffen sind, können Lähmungen verursachen, für die es momentan keine wirksame Behandlung gibt. Könnten Stammzellen helfen?

Das Rückenmark ist eine Ansammlung von Millionen von Nervenzellen (Neuronen) in unserer Wirbelsäule, die Signale ans Gehirn aussendet und von dort empfängt. Schäden an diesem wichtigen und empfindlichen Gewebe sind häufig dauerhaft und können Lähmungen verursachen.

Derzeit gibt es keine wirksamen Behandlungen zur Wiederherstellung der Funktion des Rückenmarks,

doch in mehreren klinischen Studien werden gerade Sicherheit und Wirksamkeit von Therapien mit Stammzellen getestet. Mit diesen Therapien hofft man, die Funktion des Rückenmarks zumindest teilweise wiederherstellen zu können. Mehrere Studien haben bisher vielversprechende Ergebnisse geliefert, doch definitive Resultate sind noch nicht bekannt.

Entzündungen und Toxine, die von geschädigten Zellen am Ort einer Wirbelsäulenverletzung freigesetzt werden, verursachen häufig weiteren Schaden in den benachbarten Zellen. Forscher entwickeln gerade Behandlungen, die Entzündungen lindern und Toxine und freie Radikale absorbieren, um zusätzliche Schäden auf ein Minimum zu reduzieren.

Bei Rückenmarksverletzungen werden häufig Neuronen und die unterstützenden Zellen, die die Neurone umhüllen und isolieren,  geschädigt.Schäden an den unterstützenden Zellen können das Absterben von ansonsten funktionsfähigen Neuronen zur Folge haben. Forscher untersuchen derzeit, wie Stammzellen dafür genutzt werden könnten, Neuronen und ihre unterstützenden Zellen zu ersetzen, um so die Chancen des Patienten auf Wiederherstellung der Funktion deutlich zu verbessern .

Die meisten Stammzelltherapien, die gegenwärtig in klinischen Studien getestet werden, bauen darauf, dass transplantierte Stammzellen die geschädigten Bereiche des Rückenmarks automatisch reparieren. Es ist jedoch nicht bekannt, wie zuverlässig und reproduzierbar dieser Therapieansatz bei verschiedenen Patienten und Verletzungsarten ist.

Man geht davon aus, dass Stammzelltherapien für das Rückenmark am besten funktionieren, wenn sie zeitnah zur Verletzung verabreicht  werden. Vernarbungen an der verletzten Region  können die Wirksamkeit einer Behandlung einschränken; auch dieses Problem muss daher angegangen werden.

Es ist noch nicht klar, wie viel der ursprünglichen Funktion mit den derzeit in klinischen Studien untersuchten Stammzelltherapien wiederhergestellt  werden kann.

Brain and spinal cord

Das Rückenmark ist das empfindliche Gewebe, das von den harten Wirbeln der Wirbelsäule umschlossen und geschützt wird. Gehirn und Rückenmark bilden zusammen das zentrale Nervensystem.

Das Rückenmark besteht aus Millionen von Nervenzellen, die Signale zwischen dem Gehirn und den übrigen Teilen des Körpers übertragen. Die Informationen, die es uns ermöglichen zu sitzen, zu laufen, zur Toilette zu gehen und zu atmen, werden vom Rückenmark übermittelt.

Nerve cell drawing

Der häufigste Zelltyp im Rückenmark, das Neuron, übermittelt die Informationen aufwärts und abwärts, und zwar als elektrische Signale. Das Axon (auch als Nervenfaser bezeichnet) ist ein langer, dünner Fortsatz des Neurons, der  die Signale  vom Zellkörper des Neurons wegleitet. Jedes Neuron hat nur ein Axon, welches  so lang sein kann wie die gesamte Wirbelsäule, bei einem erwachsenen Menschen beispielsweise bis zu 45 cm.

Die Axone, die Botschaften von oben (vom Gehirn) nach unten übertragen, heißen motorische Axone. Sie kontrollieren die Muskeln der inneren Organe (z. B. Herz, Magen und Darm) sowie die der Arme und Beine. Außerdem sind sie an der Regulierung des Blutdrucks, der Körpertemperatur und der Reaktion des Körpers auf Stress beteiligt.

Die Axone, die aufwärts (zum Gehirn) verlaufen, übermitteln sensorische Informationen von der Haut, den Gelenken und den Muskeln (Berührung, Schmerz, Temperatur) und von den inneren Organen (z. B. Herz und Lunge). Sie werden als sensorische Axone bezeichnet.

Die Neuronen im Rückenmark müssen in ihrer Funktion von anderen Zelltypen unterstützt werden. Zum Beispiel bilden die Oligodendrozyten eine Struktur, die die Axone umhüllt und isoliert. Dieses isolierende Material heißt Myelin, und mit seiner Hilfe werden die elektrischen Impulse schnell und effizient entlang des Axons weitergeleitet.

Verletzungen des Rückenmarks betreffen sowohl die Axone als auch die Myelinscheide, die das Axon isoliert.
Verletzungen des Rückenmarks betreffen sowohl die Axone als auch die Myelinscheide, die das Axon isoliert.

Rückenmarksverletzungen sind verheerende und zu Lähmungen führende Schäden, die Menschen, besonders junge Erwachsene, überall auf der Welt betreffen.

Sie stellen eine schwere körperliche, psychische, soziale und wirtschaftliche Belastung für Patienten und Angehörige dar.

Eine Einsicht in die Prozesse, die nach einer Verletzung ablaufen und wie diese zusammenhängen, ist die Grundvoraussetzung für die Entwicklung einer wirkungsvollen Behandlungsmethode.

Im Allgemeinen lbesteht eine Rückenmarksverletzung aus zwei aufeinanderfolgenden Phasen, die von primären und sekundären Prozessen bestimmt werden.

Die meisten Verletzungen erfolgen durch Scherkräft, Zerstörung von Gewebe und akute Dehnung. Situationen, in denen das Rückenmark starken Beschleunigungs- und Bremsphasen ausgesetzt ist, können auch zu Verletzungen führen, allerdings äußerst selten zu einer vollständigen Durchtrennung des Rückenmarks.

Auf zellulärer Ebene werden  Axone  gequetscht und zerrissen, und die Oligodendrozyten, die die Myelinscheide um die Axone herum bilden, beginnen abzusterben. Die freiliegenden Axone degenerieren, die Verbindung zwischen den Neuronen reißt ab und der Informationsfluss zwischen Gehirn und Rückenmark ist blockiert.

The spine has different sections. The level of paralysis depends on the location of the injury.
Die Wirbelsäule wird in verschiedene Abschnitte unterteilt. Die Form der Lähmung hängt von der Lage der Rückenmarksverletzung ab.

Der Körper kann die durch die Verletzung verloren gegangenen  Zellen nicht ersetzen und ihre  Funktion bleibt dauerhaft beeinträchtigt. Es können schwere Bewegungs- und Empfindungsstörungen zurückbleiben. In der Regel kommt es von der Verletzung abwärts zur Lähmung und zu Empfindungsverlust. Verletzungen im oberen Halsbereich, wie die des Superman-Darstellers Christopher Reeve, führen zur Lähmung des gesamten Körpers einschließlich der Arme und Schultern. Häufig befindet sich die Verletzung direkt unterhalb der Rippen, was zur Lähmung der Beine bei normaler Funktion der oberen Extremitäten führt. Abhängig von Lage  und Ausmaß der Verletzung kann es zu einer  vollständigen  oder unvollständigen Lähmung sowie zum Verlust des Empfindungsvermögens, der Sexualfunktion und der Darmkontrolle kommen.

Die Schwere der neurologischen Verletzung, ihre Lage und das Vorhandensein eines Bereichs mit teilweiser Erhaltung des Rückenmarks werden gemeinhin benutzt, um eine Prognose über die Heilungs- und Überlebenschance zu erstellen. Das Vorhandensein von Axonen, die durch die Verletzung verschont geblieben sind und die den verletzten Bereich überspannen, stellt ein hohes therapeutisches Potential dar. Auf dieser Grundlage basieren derzeit auch eine Vielzahl der neu aufkommenden therapeutischen Strategien.

Trotz der wichtigen Fortschritte in den Kenntnissen über Rückenmarksverletzungen konnten bislang keine der in präklinischen Studien erfolgreichen Therapieansätze in wirkungsvolle klinische Behandlungen umgesetzt werden.

Unmittelbar nach der Verletzung erfolgende medizinische Maßnahmen wie das Immobilisieren und das Anbringen von Stützen zur Stabilisierung der Wirbelsäule können dazu beitragen, die Schäden an Nervenzellen zu minimieren. In der Rehabilitation wird den Patienten dabei geholfen, körperliche und emotionale Unabhängigkeit zurückzugewinnen.

Verletzungen des Rückenmarks sind komplex, da verschiedene Arten von Zellen auf unterschiedliche Weise geschädigt werden. Während der ersten Wochen nach der Verletzung ändert sich das Milieu innerhalb des Rückenmarks drastisch: Immunzellen wandern ein, toxische Substanzen werden freigesetzt, und es kommt zur Narbenbildung. Mehrere Therapien müssen kombiniert werden und jeweils zur richtigen Zeit am richtigen Punkt ansetzen.

Studien an Tieren haben gezeigt, dass die Transplantation von Stammzellen oder aus Stammzellen hergestellten Zellen zur Wiederherstellung des Rückenmarks beitragen könnte, indem

  • die Nervenzellen ersetzt werden, die durch die Verletzung abgestorben sind.
  • neue unterstützende Zellen hergestellt werden, welche die isolierende Hülle aus Myelin um die Nerven herum wieder aufbauen und die verletzte Stelle überbrücken, so dass die Regeneration der verletzten Axone stimuliert wird.
  • die Zellen am Ort der Verletzung vor weiterem Schaden bewahrt werden, durch das Freisetzen von schützende Substanzen wie beispielsweise Wachstumsfaktoren und das Binden von Giftstoffen wie zum Beispiel freie Radikale. Dazu müssen die Zellen kurz nach der Verletzung in das Rückenmark eingebracht werden.
  • die Ausdehnung der Verletzung durch Unterdrückung von schädlichen Entzündungen, die nach der Verletzung auftreten können, begrenzt wird.

In den entsprechenden Studien wurden verschiedene Zelltypen, einschließlich Stammzellen aus verschiedenen Quellen, zum Beispiel Hirngewebe, Nasenschleimhaut, Zahnmark, sowie embryonale Stammzellen getestet – meist an Rattenmodellen für Rückenmarksverletzungen. Mit keiner dieser Zellen wurde mehr als eine teilweise Wiederherstellung der Funktion erzielt, aber es handelt sich hierbei um ein aktives Forschungsgebiet, in dem weiterhin eine Reihe von verschiedenen Stammzelltypen getestet und modifiziert wird.

Klinische Studien, die neurale Stammzellen verwenden

Neural stem cells (mouse)
Neurale Stammzellen (Maus)

StemCell Inc

Im Dezember 2010 genehmigte die Schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel eine von StemCell Inc. gesponserte klinische Phase-I/II-Studie zu chronischer Rückenmarksverletzung an der Uniklinik Balgrist in Zürich.

Diese Studie basierte auf präklinischen Versuchen im Mausmodell, in denen gezeigt wurde, dass Oligodendrozyten mit Hilfe von humanen neuronalen Stammzellen ersetzt werden können, wenn diese in der frühen, chronischen Phase einer Rückenmarksverletzung transplantiert werden.

Bei dem in der Studie verwendeten Stammzelltyp handelt es sich um Zellen, die  aus menschlichem Hirngewebe gewonnen werden und jede der drei wesentlichen Arten von Neuronen des zentralen Nervensystems hervorbringen können.

Von einem einzelnen Spender können genug dieser HuCNS-SC Zellen gewonnen werden, um mehrere Patienten zu behandeln. Eine einmalige Dosis von 20 x 106 Zellen wird mit Hilfe mehrerer Injektionen in den thorakalen Bereich des Rückenmarks von Patienten mit chronischer thorakaler (T2-T11) Rückenmarksverletzung injiziert. Zusätzlich werden in den 9 Monaten nach der Transplantation Immunsuppressiva verabreicht. An der Studie nahmen Patienten teil, die 3-12 Monate zuvor eine teilweise oder vollständige Rückenmarksverletzung erfahren hatten. Die Studie sollte planmässig bis März 2016 abgeschlossen werden (clinicaltrials.gov identifier no. NCT01321333). Eine Zwischenanalyse der bis Mai 2014 gesammelten Daten wurde beim jährlichen Treffen der American Spinal Injury Association in San Antonio, Texas vorgestellt:

die erhebliche Wiedererlangung sensorischer Funktionen nach der Transplantation, die zuvor bei zwei Patienten beobachtet wurde, bestätigte sich nun auch in zwei weiteren Patienten.

Die nächste Patientengruppe wird derzeit sowohl in Nordamerika (Universität Calgary) als auch in der Schweiz rekrutiert. Diese schließt einige Patienten mit nur teilweiser Rückenmarksverletzung ein (d.h. sensorische und motorische Funktionen sind noch teilweise erhalten geblieben) (clinicaltrials.gov identifier no. NCT01725880). Zu Beginn letzten Jahres schloss StemCell Inc. die Vorbereitungen für eine multizentrale offene Phase-I/II-Studie ab, die den Titel “Study of Human Central Nervous System (CNS) Stem Cell Transplantation in Cervical Spinal Cord Injury” (Transplantations-Studie mit humanen Stammzellen des zentralen Nervensystems in zervikale Rückenmarksverletzungen) trägt und mehrer Forschungszentren einschließt (clinicaltrials.gov identifier no. NCT02163876).

Diese sogenannte “Pathway Study” ist die erste Studie, die sowohl die Sicherheit als auch die Effizienz einer Stammzelltransplantation untersucht. Sie umfasst eine Gruppe von 52 Patienten mit traumatischen Verletzungen des zervikalen (die Region der Halswirbelsäule) Rückenmarks. Die Studie wird als randomisierte, kontrollierte, einfachblinde Studie durchgeführt. Ihre Effizienz wird primär durch die Messung der motorischen Funktionen anhand internationaler Normen getestet (International Standards for Neurological Classification of Spinal Cord Injury (ISNCSCI); Internationaler Standard für die neurologische Klassifikation von Rückenmarksverletzungen). Hierbei wird der Fokus auf Veränderungen in der Kraft der oberen Extremitäten gelegt, die an Händen, Armen und Schultern gemessen wird. Der Zeitraum der Studie erstreckt sich über ein Jahr. Man erhofft sich, dass die in das verletzte Rückenmark transplantierten Zellen in der Lage sind, einige der Verbindungen wiederherzustellen, die für das neuronale Netzwerk zur Informationsweiterleitung im Körper wichtig sind.

 

Neuralstem

Im September 2014 begann

Neuralstem mit Operationen in einer Phase-I-Sicherheitsstudie für ihre NSI-566 neuronalen Stammzellen für chronische Rückenmarksverletzungen (cSCI) an der Universität von Kalifornien, San Diego School of Medicine, mit Unterstützung des UC San Diego Sanford Stem Cell Clinical Center (clinicaltrials.gov identifier no. NCT01772810).

Die Sicherheit sowohl der genannten Zellen als auch einer ähnlichen Prozedur konnte bereits in Neuralstems NSI-566/ALS-Studien gezeigt werden. In Anbetracht dessen ergänzte die US Gesundheitsbehörde FDA das Phase-I Versuchsprotokoll durch die Einbeziehung von einer Gesamtzahl von vier Patienten. Bei diesen vier cSCI Patienten, mit Rückenmarksverletzungen im thorakalen Bereich (T2-T22), wird der Grad ihrer Behinderung von der American Spinal Injury Association (AIS) 1-2 Jahre nach der Verletzung als Level A eingestuft. Dies bedeutet, dass in den Segmenten auf Höhe der Verletzung oder darunter keinerlei motorische oder sensorische Funktionen mehr nachzuweisen und die Patienten also vollständig gelähmt sind.

Alle Patienten der Studie werden sechs Injektionen in oder in der Umgebung der Verletzung erhalten. Dabei werden dieselben Zellen und dieselbe Prozedur wie in den Versuchen mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) verwendet (der erste Stammzellversuch für die Behandlung von ALS der von der FDA genehmigt wurde). Alle Patienten erhalten außerdem Physiotherapie im Anschluss an die Operation, um die korrekte Verknüpfung und Funktion der neu gebildete Nerven zu gewährleisten. Ebenso erhalten die Patienten für drei Monate Immunsuppressiva, je nach Verträglichkeit. Die angestrebte Dauer der Phase-I-Studie beläuft sich auf ein Jahr und wird sechs Monate nach der Operation des letzten Patienten abgeschlossen werden. Man rechnet damit, im ersten Viertel von 2015 in Seoul, Südkorea, mit einer Phase-II-Studie mit NSI-566 in akuten Rückenmarksverletzungen beginnen zu können.

 

Das “Miami Project” zur Heilung von Lähmung

Die Forscher des “Miami Projects” (The Miami Project) arbeiten derzeit an mehreren klinischen Studien für Menschen mit sowohl  akuten als auch chronischen Rückenmarksverletzungen. In den Studien werden die Sicherheit und Effizienz von verschiedenen zellulären, neuroprotektiven, restaurativen oder regulatorischen Eingriffen geprüft.

Sie beinhalten Phase-I-Studien mit patienteneigenen (von peripheren Nerven abstammenden) Schwann-Zellen in sowohl subakuten thorakalen als auch chronisch zervikalen und thorakalen Rückenmarksverletzungen, als auch eine multizentrale Phase-II-Studie mit HuCNS-SC in chronisch zervikalen Rückenmarksverletzungen (wie oben beschrieben). Alle diese Zelltherapiestudien des “Miami Project“ rekrutieren derzeit Patienten (mehr Informationen unter clinicaltrials.gov).

 

Klinische Studien mit mesenchymalen Stammzellen

Derzeit wird untersucht, ob Mesenchymale Stamm-/Stromazellen (MSCs) das Potential haben, zu Therapiezwecken bei Rückenmarksverletzungen eingesetzt zu werden. Bei Clinical Trials (clinicaltrials.gov) sind im Moment 9 klinische Studien registriert, die MSCs im Zusammenhang mit Rückenmarksverletzungen untersuchen. Diese prüfen die Sicherheit und Effizienz von MSCs die aus patienteneigenem Knochenmark (5), aus Fettgewebe (3) oder aus Nabelschnurblut (1) gewonnen werden. MSCs werden in diesen Studien auf vielfältige Art und Weise injiziert - direkt ins Rückenmark oder die verletzte Region selbst, intravenös oder einfach in die Haut. Die teilnehmenden Patienten weisen chronische zervikale bis thorakale Verletzungen auf und wurden anhand der ASIA-Klassifikation (ASIA/ISCoS scores) zwischen A (keine Muskelfunktion und keine Sensibilität unterhalb der Rückenmarkschädigung) und C (geringe Muskelbewegung unterhalb der Lähmungsstelle ist vorhanden, jedoch 50% der Muskel unterhalb der Lähmungsstelle können nicht gegen die Schwerkraft bewegt werden) auf.

Man hofft, dass diese Zellen nach Transplantation in das verletzte Rückenmark gewebeschützende Moleküle/Faktoren freisetzen und somit helfen (indirekt durch Zellintegration und –differenzierung), Verbindungen wiederherzustellen, die für das neuronale Netzwerk zur Informationsweiterleitung im Körper wichtig sind.

 

Klinische Studie mit mit embryonalen Stammzellen

Das in Kalifornien ansässige Biotechnologieunternehmen Geron hatte eine Studie anlaufen lassen, über die öffentlich viel berichtet wurde. Darin wurde erstmals eine Therapie untersucht, bei der aus menschlichen embryonalen Stammzellen gezüchtete Zellen injiziert wurden. Die injizierten Zellen waren Vorläufer von Oligodendrozyten, den Zellen, die die isolierende Myelinscheide um die Axone herum bilden. Die Forscher hatten gehofft, dass diese Zellen nach der Injektion in das Rückenmark reifen und eine neue Hülle um die Nerven herum bilden würden, so dass wieder eine Signalübertragung über die verletzte Stelle hinweg möglich wäre.

Nachdem in einer Phase-1-Studie (Sicherheitsstudie) vier Patienten mit diesen Zellen behandelt und keine ernsthaften Nebenwirkungen berichtet worden waren, meldete Geron im November 2011, dass es sein Stammzellprogramm abbrechen werde. Das Unternehmen betonte, dass „Stammzellen auch weiterhin sehr vielversprechend“ seien, und gab an, man werde sich aus finanziellen Gründen auf andere Forschungsbereiche konzentrieren.

 

Asterias Biotherapeutics

Anknüpfend an die ursprünglich von Geron entwickelte Technologie erarbeitete Asterias Biotherapeutics ein Programm, das sich auf eine bestimmte Art von Nervenzelle, Oligodendrozyten-Vorläufer (OPCs) für die Behandlung von Rückenmarksverletzungen konzentriert. Diese Zellen, AST-OPC1 genannt, werden aus menschlichen embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) gebildet.

In einer Phase-I-Studie wurde fünf Patienten mit neurologisch vollständiger, thorakaler Rückenmarksverletzung, 7-14 Tage nach Entstehung der Verletzung, zwei Millionen dieser von ES-Zellen abstammenden OPCs im Bereich der Verletzung verabreicht. Die Patienten erhielten anschließend über 60 Tage eine leichte Dosis an Immunsuppressiva.

Die Verabreichung der OPCs verlief in allen fünf Patienten erfolgreich ohne ernsthafte Nebenwirkungen in Folge der Einbringung von Zellen oder der Immunsuppression.

Bei vier der fünf Patienten deuteten MRI-Scans darauf hin, dass sich das Volumen der Verletzung verringert hatte. Derzeit werden Patienten mit akuten (14-30 Tage nach der Verletzung), sensomotorisch vollständigen zervikalen Rückenmarksverletzungen für eine zweite Phase-I/II-Studie zur Dosisfindung mit dem Einsatz von AST-OPC1 rekrutiert. Man erhofft sich, dass OPCs, wenn sie kurz nach der Verletzung ins Rückenmark transplantiert werden, in der Lage sind, zu remyelinisieren und verlorengegangene Funktionen so wiederherstellen zu können.

 

Weitere klinische Studien bei Rückenmarksverletzungen

Experimental Treatments for Spinal Cord Injuries

Einige Unternehmen bieten Patienten mit Rückenmarksverletzungen stammzellbasierte Behandlungen außerhalb des anerkannten Verfahrens der klinischen Prüfung an. Für diese angebotenen Behandlungen wurde kein signifikanter Wirkungsnachweis erbracht. Wer in Erwägung zieht, für eine solche Behandlung zu bezahlen, sollte dies mit seinem Arzt besprechen und das folgende Informationsblatt lesen, das eine Gruppe von Spezialisten für Rückenmarksverletzungen erstellt hat:

[Link auf Englisch belassen] Experimental Treatments for Spinal Cord Injuries: What you should know if you are considering participation in a clinical trial  Informationen in deutscher Sprache stehen auf der englischen Webseite zur Verfügung

Nein. Obwohl sich Stammzellen bereits als sehr nützlich in der Forschung an Rückenmarksverletzungen erwiesen haben und auch nach und nach in klinischen Studien getestet werden, gibt es derzeit noch keine bewährte und anerkannte Stammzellbehandlung bei Rückenmarksverletzungen. Mehrere verschiedene Ansätze und Stammzelltypen werden derzeit auf ihr Potenzial untersucht, zukünftig in Therapien angewendet zu werden. Je nach verwendetem Stammzelltyp und Form der Implantation haben die verschiedenen Verfahren zum Ziel, die verletzte Stelle zu überbrücken, so dass die Axone sich regenerieren können, verlorengegangenes Myelin zu ersetzen, oder das Rückenmark vor eine Ausbreitung der Schäden nach der Verletzung zu schützen. Wahrscheinlich wird es weitere klinische Studien geben, die auf diesen Verfahren basieren.